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Sorgen kann man teilen. 0800/111 0 111 · 0800/111 0 222 · 116 123 Ihr Anruf ist kostenfrei

TelefonSeelsorge Weiden/Nordoberpfalz

Reflexionen eines TelefonSeelsorge-Mitarbeiters

Anliegen des oder der Ratsuchenden möglichst früh zu erkennen und  gezielt aufzugreifen, ist eine der zentralen Aufgaben, die sich in jedem unserer Beratungsgespräche stellt. Mich in die Lage eines anderen zu versetzen, fordert meine ganze Aufmerksamkeit. Unwillkürlich werden in diesem Dialog immer wieder auch meine Gefühle angesprochen.

Am Telefon erfahre ich von Sorgen, Nöten, seelischen und körperlichen Beschwerden, die nicht selten auch nach langer Zeit immer noch fortbestehen oder sich sogar verschlimmern.

Wie gehe ich damit um? Wie viel davon nehme ich mit nach Hause? In der Regel kann ich die Gespräche recht schnell beiseite legen. Nach der dritten Ampel bei der Fahrt nach Hause ist der Gedankenspeicher meist schon wieder leer. In der Supervision spreche ich die Themen an, die mich vielleicht doch weiter beschäftigen. Wirklich emotional belastet fühle ich mich dadurch nicht.

Wichtig sind mir die Gespräche mit den Kollegen und Kolleginnen. In unserem Kreis von Gleichgesinnten herrscht ein wohltuender Konsens.

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Das Bildschirmfoto zeigt die Webseite von www.telefonseelsorge.de

 

Meine Empathie sollte beim Gegenüber am Telefon ankommen. Dialogführung, Argumentation und Formulierungen müssen zum Anrufer passen, darauf muss ich achten.

Mitunter wird mir in den Gesprächen viel Einfühlungsvermögen und Geduld abgefordert, vor allem mit Dauerklienten, Personen mit differenzierter Auffassungsgabe oder Sichtweise oder mit Suchtproblemen.

Überlange Gespräche gezielt zu beenden, wenn nötig, sich gegenüber dem Anrufer klar abzugrenzen, z.B. wenn das Gespräch seitens des Anrufers aggressive Züge annimmt, oder mir Dinge unterstellt werden, dabei doch gelassen zu bleiben, weiterhin möglichst authentisch aufzutreten und dabei die Gesprächshoheit zu behalten - das fordert mich in diesen Fällen. Bei einem völlig unerwarteten Gesprächsabbruch durch den Ratsuchenden stellt sich unter Umständen die Frage, ob ich dem Anrufer möglicherweise nicht doch zu viel zugemutet habe.

Bei glaubhaften Suizidandrohungen, die glücklicherweise am Telefon nicht so oft vorkommen, trage ich in gewisser Weise verstärkt Verantwortung. Mein Krisenmanagement muss ich uneingeschränkt abrufen können. Am Ende des anstrengenden Gesprächs bleibt allerdings weiterhin die Ungewissheit, ob ich tatsächlich etwas bewirken konnte.
Selbst nach etlichen Jahren bei der TelefonSeelsorge werde ich immer wieder einmal mit einer Problematik konfrontiert, die für mich völlig neu ist und bei der deshalb meine Intuition gefordert ist.

Eine „bekannte“ Stimme meldet sich. Unwillkürlich schießt mir in den Kopf: „Nicht schon wieder der/die!“, weil ich (viele) Gespräche mit dieser Person in unguter Erinnerung habe. Ich muss mich auf meine Aufgabe besinnen. Ich sage mir, „Du bist für jeden Ratsuchenden da, auch wenn es Dir schwer fällt. Vielleicht entwickelt sich das heutige Gespräch doch anders als gedacht“. Oft gelingt es dann tatsächlich.

Anrufe mitten in der Nacht, keine Hintergrundgeräusche mehr, absolute Stille in den Räumen der „konspirativen“ Dienststelle: Manche kommen wie eine Art Notruf an; der Leidensdruck des Ratsuchenden ist zu groß geworden. Diese Gespräche wirken irgendwie noch direkter und intensiver als die Anrufe am Tag. Weniger schön sind  Aufleger oder Anrufe von Alkoholikern, die nicht mehr schlafen können, so gegen drei Uhr, wenn meine Aufmerksamkeit den Tiefpunkt erreicht hat.

Bei bestimmten Anrufern ist – trotz aller Bemühungen – ein Gespräch auf der Sachebene nicht möglich. Da ich nicht mehr bewirken kann, leihe ich dem Gegenüber nur mein empathisches Ohr.

Das Spektrum der Themen, die meine Tätigkeit am Telefon bestimmen, ist enorm. Dazu gehören auch Abgründe der Gesellschaft. Bei einem Vier-Stunden-Dienst oder im Nachtdienst von 0:00 Uhr bis 8:00 Uhr kommt einiges zusammen, mit dem ich konfrontiert werde.

Deutlich anders gelagert sind die Verhältnisse in der Mail-Seelsorge. Hier ist unser Angebot noch niedrigschwelliger. Mancher Ratsuchende kann sich nicht überwinden, am Telefon über seine Probleme zu sprechen. In einer Mail fällt ihm das Formulieren oft leichter.

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Du siehst eine bedrohlich aussehende Gestalt in einem Kaputzenpulli. Dort, wo das Gesicht sein sollte, ist ein Fragezeichen. Die Gestalt sitzt vor einem aufgeklapptem Laptop. Das Bild ist in düsterem schwarz und blau-grün gehalten.

Nach meiner Erfahrung geht es bei der Mail-Seelsorge nicht selten um „schwerere“ Fälle: Suizidgedanken, Suiziderfahrungen, Selbstverletzungen, schwierige soziale Verhältnisse, tiefe Verzweiflung ... Sofern vom Ratsuchenden gewünscht, begleite ich ihn über einen längeren Zeitraum. Daher beschäftigt mich der jeweils aktuelle Fall mit jeder weiteren Mail des Ratsuchenden.

Manchmal bleibt meine – wohlüberlegte – Antwort auf eine mitunter mehrere Seiten lange Erstmail unbeantwortet. Diese Erfahrung machen wir alle.

Mein Text will gut überlegt sein, damit der Ratsuchende die richtigen Schlüsse daraus ziehen kann. Die Beantwortung der Mails kostet mitunter viel Zeit und Geduld. Schwierig wird es, wenn ich – nach einem langen Schriftverkehr – keine weiteren Lösungsansätze mehr anzubieten habe, oder der Ratsuchende sich immer am gleichen Thema abarbeitet, ohne weiter zu kommen. Dann gebe ich den Kontakt an eine/n Kollegen/in ab. Das kommt aber selten vor.

Bei aggressiven Mails und Anrufen frage ich mich ab und an schon: „Warum tue ich mir das an?“ Gibt es doch weniger emotional belastende Freizeitbeschäftigungen. Aber zum einen sehe ich, wie unglaublich wichtig es ist, dass es die Einrichtung TelefonSeelsorge gibt. Meinen Teil beizutragen, dass sich Menschen in belastenden Problemsituationen an einen Ansprechpartner wenden können, das ergibt für mich einen Sinn. Zum anderen: Wenn ich mich Ratsuchenden zuwende, ihnen Trost spenden, andere Sichtweisen und Lösungsansätze anbieten, im weitesten Sinne versuchen kann, ihnen weiter zu helfen, dann habe ich etwas Sinnvolles und Gutes im Sinne von „Caritas“ getan.

Gelegentlich erhalte ich von Seiten des Ratsuchenden aufrichtigen Dank, manchmal auch Lob für mein und unser Tun. Besonders schön ist die Erfahrung, wenn ich spüre, dass sich der Anrufer oder Mailer ein Stück erleichtert fühlt, oder wenn ein Gespräch mit einem Lachen endet. Solche Reaktionen beflügeln ungemein!

S.H.

 

Zum nächsten Teil: Überlass der Nacht die Stimme überlass ihr Rat und Heil