Die Überschrift beschreibt die Diskrepanz zwischen unserer Erwartung und der Realität, die uns im Rahmen der Ausbildung erfreulicherweise einholte.
Aufgrund unserer vorwiegend technisch orientierten Ausbildung und jahrelangen beruflichen Prägung, sind wir beide tendenziell eher pragmatisch und strukturiert veranlagte Analytiker mit einem Hang zur lösungs- und zielorientierten Vorgehensweise.
Dies war ein Stück weit auch unser Denkansatz, als wir uns nach einem Aufruf in der Tageszeitung aufgrund unserer, gefühlt sehr privilegierten, Lebenssituation gezielt dafür entschieden, uns für den Ausbildungskurs bei der TelefonSeelsorge zu bewerben und in die Ausbildung einstiegen. So waren wir davon überzeugt, dass es eine Art „Technische Anleitung“ (Fließschema, Checkliste, etc.) geben dürfte, die es für jeden Anrufer zu berücksichtigen gilt. Eine Art intellektuellen Werkzeugkoffers, aus dem man - je nach Anliegen des Anrufers – das richtige Werkzeug oder Stilmittel herausholt, um ein bestehendes Problem möglichst zielgerichtet zu beheben, oder zumindest zu verbessern.
Im Nachhinein betrachtet waren diese Erwartungen nicht nur naiv, sondern vielleicht auch gehörig arrogant. Die umfangreichen Erläuterungen und fachlichen Hintergründe, die Vielfalt und Tiefe der praktischen Erfahrungen (insbesondere auch in Bezug auf sich selbst), das umfangreiche Üben von Telefonaten und nicht zuletzt die extrem wertvollen Hospitationen und der nicht erschöpfen wollende Erfahrungsschatz der Ausbildungsleitung haben uns gelehrt, dass es nicht darum geht, dem Anrufer einen bunten Blumenstrauß (möglicherweise durchaus sinnvoller) Lösungsansätze zu präsentieren und Handlungsempfehlungen inklusive Priorisierung auszusprechen.
Vielmehr geht es darum, den Anrufer in seiner eigenen Wahrheit und Wahrnehmung wertungsfrei anzunehmen und zwar genau an dem Punkt, an dem er gerade steht. Es geht darum, sich – wenn auch mit einer gesunden Distanz – auf den Anrufenden und die Situation einzulassen. Sei es, um vielleicht nur gemeinsam kurz in einer Situation inne zu halten, damit es dem Anrufenden gelingt, tief durchzuatmen oder auch mal Dampf abzulassen, wenn es ansonsten kein Ventil gibt; sei es um mal kurz gemeinsam das Glas des inneren Kompasses zu polieren, damit der Anrufende für sich eine mögliche Richtung erkennt oder gar den Mut fasst, einen bereits in ihm angelegten Schritt auch wirklich zu gehen (oder eben auch nicht). Der Segen der TelefonSeelsorge liegt wohl darin, in Situationen da zu sein, wenn es gerade kein anderer ist.
All das mussten, nein durften, wir – doch eher verkopften Ingenieure – erst lernen.
Ein orientalisches Sprichwort sagt: ein Herz, das zuhört, hilft oft mehr, als ein Verstand, der spricht. Dass dieses Sprichwort wahr ist, zeigten uns die letzten Ausbildungsmonate; wieviel Wahrheit es in sich trägt, werden uns mit Sicherheit die nächsten Monate weisen. Wir sind für all die unerwarteten Erkenntnisse, Erfahrungen und Eindrücke, die wir aus dieser Ausbildung mitnehmen dürfen, sehr dankbar. So wie unsere Strukturiertheit sicher auch einen positiven Einfluss auf das kommende Ehrenamt haben wird, befruchten und bereichern die gewonnenen Erfahrungen unseren Alltag im Umgang mit Menschen, aber auch im Umgang mit uns. Wer hätte das gedacht…
S.K. und M.K.
Zum nächsten Teil: Was habe ich aus der Ausbildung zur Telefonseelsorgerin mitgenomen