Direkt zum Inhalt
Sorgen kann man teilen. 0800/111 0 111 · 0800/111 0 222 · 116 123 Ihr Anruf ist kostenfrei

TelefonSeelsorge Weiden/Nordoberpfalz

Mit meinem Gott überspringe ich Mauern

Mauern zu überspringen – das ist keine so leichte Angelegenheit.

Auch Seelsorge ist nichts, was ich auf die leichte Schulter nehmen will. Der große Liederdichter Paul Gerhardt hat einmal gesagt: „Das Seelsorgeamt ist ein schweres Amt.“ Aber er, der das gesagt hat, war mit seinen Liedern ein so großer Seelsorger! So habe auch ich das immer wieder neu gelernt – und gewagt – und geübt – wie alle anderen in der Seelsorge – auch in der TelefonSeelsorge. Und wir haben ja einen Helfer: Mit meinem Gott… kann ich über Mauern springen.

30 Jahre ökumenische TelefonSeelsorge in der Oberpfalz.

Gerne habe ich mich in den Anfängen der ökumenischen TelefonSeelsorge Nordberpfalz zur TelefonSeelsorgerin ausbilden lassen und habe dann bei der Begleitung der Ehrenamtlichen mit gearbeitet. Gerne habe ich selbst am Telefon gesessen und den Anrufer*innen zugehört. Das Besondere der TelefonSeelsorge: Ich sehe den Anrufer, die Anruferin nicht. Ich sehe die Mimik nicht. Ich kann keine Hand auf eine Schulter legen. Ich habe nur mein Ohr, wenn ich auf die Stimme höre. Aber immer wieder geschah das Wunderbare: am Ende des Gesprächs hatte sich oft etwas gelöst, geöffnet, geklärt, Mauern waren gefallen – mit Gottes Hilfe.

Image
Das Foto zeigt einen älteren Mann, der gerade eine bemooste Mauer überspringt.

In jenen Jahren war ich auch Seelsorgerin im Klinikum Weiden. Als Klinikseelsorgerin klopfe ich an Türen und weiß nicht, was mich hinter der Tür erwartet. Ich weiß auch nicht, ob mein Besuch erwünscht ist. Manchmal war ein Gespräch im Stillen ersehnt – nur der Mann, die Frau hatten keinen Mut gehabt, um Seelsorge zu bitten. Und ich höre: wie gut, dass Sie gerade heute kommen… Und ich erinnere mich an die zufälligen Begegnungen. Jemand sitzt vor der Röntgenabteilung, ich komme vorbei und die Patientin sagt: Sie schickt mir der Himmel!

Im Klinikum komme ich meist unangemeldet und oft zu mir fremden Menschen.  Wenn es gut geht, kommen wir in ein Gespräch. Manchmal gewinnt das Gespräch an Tiefe. Manchmal war es dann möglich, Worte zu finden, die eine andere Dimension öffnen:  auf Gott hin, den ich immer als Dritten im Gesprächs-Bunde glaube. Mit seiner Hilfe kann sich etwas bewegen, wenn ein Gespräch gelingt.

2001 übernahm ich die Gemeindearbeit in Neustadt/WN, Altenstadt/WN und Wilchenreuth. Eine ganz neue Aufgabe. Bald schon blieb mir leider keine Zeit mehr für die Telefonseesorge. Jetzt wollte ich meine Gemeindeglieder im Klinikum besuchen und Besuche bei den Menschen daheim machen. Für mich war es wesentlich, eine Gemeindeseelsorgerin zu sein. Seelsorge war gefragt an manchen Knotenpunkten des Lebens: in der Trauer, in Krankheit. Aber es hieß auch: Ohren öffnen bei Trau- und Taufgesprächen. Manchmal verstecken sich die Anliegen und Fragen einer Seele ganz unverhofft in glücklichen Zeiten.

Ich habe gerne Besuche gemacht. Auch wenn es häufig einen Anlass gab, ich kam doch immer mehr oder weniger überraschend – ich war immer neugierig, wie sich ein Gespräch entwickelt. Ganz unverhofft stellten sich Lebensfragen und forderten mich als ganze Person – mit meinem Glauben und mit meinen ganz anderen Erfahrungen. Denn nie gehe ich in den Schuhen des Gesprächspartners, der Gesprächspartnerin. Immer bleibe ich außen. Und immer hoffe ich, dass ich Mauern überspringen kann – nicht aus eigener Kraft, sondern mit meinem Gott.

2010 ging ich in den Ruhestand. Nun lebe ich im hohen Norden zwischen Nordsee und Ostsee.

Irgendwann ging die Tür zu etwas Neuem und doch Vertrautem auf: Seit einigen Jahren bin ich ins Hotel Schüle’s in Oberstdorf für jeweils drei Wochen im Jahr als Hotelseelsorgerin eingeladen. Mein Aufgabe ist: jeden Abend eine Andacht halten und in jeder Woche einen Themenabend anbieten. Ansonsten: Präsent sein. Sichtbar sein. Ansprechbar sein. Auch mal jemanden vorsichtig ansprechen: „Wie geht es Ihnen heute?“ Manchmal ergeben sich Gespräche zwischen Tür und Angel bei einer Kneipp-Anwendung. Oder es begegnet mir jemand auf einem Spaziergang und es entwickelt sich ein Gespräch. Manchmal sitze ich im Aufenthaltsraum bei meiner Tasse Kaffee am Nachmittag und jemand fragt, ob er/sie sich dazu setzen darf – „Ich habe da mal eine Frage…“

TelefonSeelsorgerin, Klinikseelsorgerin, Gemeindeseelsorgerin, Hotelseelsorgerin – was für ein Reichtum an Möglichkeiten, einem anderen Menschen zu begegnen und mich dem jeweiligen Anliegen zu öffnen. Ungebeten oder gebeten, überraschend oder geplant. Immer versuche ich in Kontakt zu kommen, mich ansprechbar zu zeigen.

Dafür brauche ich alle meine Sinne: Meine Augen wollen den anderen freundlich anschauen und wach sein für das, was da werden will. Meine Ohren wollen das Gute in den Worten des anderen hören – und lauschen. Mein Mund möchte gute Worte sprechen. Oder auch einmal schweigen.

Ich will meine Seele offen halten. Es mag sein, dass dann die Mauern, die zwischen Menschen oft bewusst oder unbewusst da sind, übersprungen werden – mit Gott – dem heimlichen, manchmal hörbaren, hoffentlich immer spürbaren Mitbegleiter in der Seelsorge.

Claudia Paulsen, Pfarrerin i.R.

 

Zum nächsten Teil: Audiodatei: Interview